Logo Sonnenblume

In Tbilisi schlägt das Herz Europas

In Tbilisi schlägt das Herz Europas

Freitag, 13.12.2024

Liebe Freundinnen und Freunde,

während ich diesen Text schreibe, und sehr wahrscheinlich auch, während ihr ihn lest, protestieren zehntausende Georgierinnen und Georgier seit über zwei Wochen täglich vor dem Parlamentsgebäude der Hauptstadt Tbilisi. Auslöser ist die Entscheidung der prorussischen Regierungspartei Georgischer Traum", die Verhandlungen über einen EU-Beitritt bis zum Jahr 2028 auszusetzen. Dabei ist Georgien erst seit 2023 EU-Beitrittskandidat. Ein EU-Beitrittskandidat, dessen Premierminister den Protestierenden Auslandsfinanzierungen" vorwirft. In seinem antiwestlichen Sprachgebrauch ist von der vollständigen Auslöschung des liberalen Faschismus in Georgien" die Rede.

In den letzten Jahren kam es in Georgien immer wieder zu größeren Protestwellen. Doch diese Protestwelle ist eine andere. Es geht nicht nur um einen umstrittenen Gesetzentwurf wie im Frühjahr oder Vorwürfe der Wahlfälschung wie im Herbst. Das Ende der Beitrittsverhandlungen bedeutet auch ein Ende der schwer erkämpften Möglichkeit auf eine europäische Zukunft. Eine europäische Zukunft, die keineswegs selbstverständlich ist und auf die Georgien seit der Rosenrevolution 2003 fest entschlossen durch zahlreiche Reformen, Demokratisierung und Distanzierung von Russland hinarbeitet. Laut unabhängigen Umfragen unterstützen 80 % der Menschen im Land einen Beitritt der EU. Das Ende der Beitrittsverhandlungen bedeutet, die Rechtsstaatlichkeit und die Demokratisierung der Gesellschaft zu beenden, der Korruption erneut freien Lauf zu lassen und ein weiteres Mal die eigene Unabhängigkeit an Russland zu verlieren.

Die neuesten Proteste sind ein klares Indiz dafür, dass es diesmal in Georgien um Alles geht. Die Überzeugung, mit der die Protestierenden jeden Tag auf die Straßen gehen, zeigt uns allen deutlich: In Tbilisi schlägt das Herz Europas. Und auch in den zahlreichen kleineren Städten Georgiens, wo genauso viele Proteste, aber viel weniger Berichterstattung stattfindet. Denn die Drohungen des georgischen Premierministers sind kein leeres Versprechen. Protestierende werden seit Tagen angegriffen und geschlagen, Häuser von Kulturschaffenden und Oppositionellen durchsucht, Medienschaffende verdrängt und eingeschüchtert. Die Angst von einem möglichen Einmarsch Russlands ist real. Die Antwort der georgischen Zivilgesellschaft ist Mut und Entschlossenheit.

Deshalb ist der Auftrag der Europäischen Union klar: Wir müssen mit den Menschen in Georgien zusammenstehen. Die baltischen Länder und die Ukraine haben wegen der Polizeigewalt bereits Sanktionen gegen Regierungsverantwortliche verhängt. Das reicht aber nicht aus. Wir haben die Pflicht, die Zivilgesellschaft in Georgien zu stärken und die Menschenrechte zu schützen, wenn sie in Gefahr sind. Die europäischen Werte werden sich nur dann behaupten, wenn wir souverän, klar und deutlich zusammenstehen.

Die Antwort auf die Aggression ist europäischer Zusammenhalt. Denn die Zukunft Georgiens, der Ukraine und Moldaus kann nur eine europäische Zukunft sein. Was aktuell in Georgien, der Ukraine und Moldau passiert, bestimmt auch unsere Zukunft.

Eure Desislava Zhecheva

Beisitzerin im Kreisvorstand