„Antirassismus ist heute eine historische Notwendigkeit
Liebe Freund*innen,
Letzte Woche haben wir in Frankfurt gemeinsam das Paulskirchenfest gefeiert. Gemeinsam haben wir das 175. Jubiläum der ersten deutschen Nationalversammlung von 1848 gedacht und was das für unser Zusammenleben und unsere Demokratie bedeutet. Denn Demokratie ist ein hart erkämpftes Gut, das nicht vom Himmel fällt.
Die erste deutsche Nationalversammlung war auch 1848 keine Selbstverständlichkeit. Sie war das Ergebnis einer Ära der Aufklärung und des revolutionären Kampfes gegen das jahrhundertealte Feudalsystem. Vom 18. bis zum 21. Mai hat die Stadt Frankfurt deutlich gemacht, wie eng die Paulskirchenverfassung von damals mit unserem Grundgesetz heute verbunden ist und wie wichtig es ist, diese Grundwerte zu verteidigen. Denn auch wenn die Revolution 1849 scheiterte, steht die Bundesrepublik und ihr freiheitlich-demokratisches System in der Tradition der deutschen Nationalversammlung von 1848.
Die Ära der Aufklärung und die Kontinuität dieser Zeit sind aber nicht für alle Menschen auf der Welt ein Segen gewesen. Sie sind eine Seite der Medaille. Es ist wichtig, bei solchen Anlässen auch kritisch die Auswirkungen dieser Zeit auf den globalen Süden zu betrachten.
Gestern war der internationale Tag für Solidarität mit den Völkern aller kolonialen Gebiete, die für Freiheit, Unabhängig und Menschenrechte streiten. Im Namen dieser Solidarität möchte ich mit Euch anstoßen, was die Ära der Aufklärung, für andere Völker bedeutete. Denn während die Aufklärung den Gedanken der allgemeinen Gleichheit (für Männer) nach Europa brachte, brachte sie auch die vermeintlich logische Rechtfertigung dafür, weshalb es richtig sei, andere Völker zu kolonisieren und ihre Menschen auszubeuten. Und auch wenn Deutschland offiziell später in diese Praxis einstieg, war auch hier dieser Gedanke weit verbreitet. Die Rassifizierung eroberter und ausgebeuteter Menschen setzte sich in der deutschen Gesellschaft fest.
Nun könnte man behaupten, dass die paar Jahrzehnte deutscher kolonialer Herrschaft im Vergleich zu anderen Staaten wohl weniger bedeutend sein. Aber auch das Deutsche Reich hat untragbares Leid in diesen Gebieten und an diesen Menschen verübt. Und im Gegensatz zu anderen Staaten hat Deutschland nie eine Phase gesellschaftlicher, staatlicher und kultureller Dekolonisierung durchlebt. Die deutschen Kolonien wurden nach dem 1. Weltkrieg den Siegermächten zugeschrieben. Deutschland musste sich lange Zeit nicht mit den Ansprüchen der kolonisierten Menschen auseinander setzen. Den Freiheitskampf der ehemaligen Kolonialstaaten, der gestern im Mittelpunkt stand, hat Deutschland nicht erlebt. Hier geriet die Erinnerung und Verantwortung diesen Menschen gegenüber in den Hintergrund.
Dies gilt es nun besser später als nie aufzuarbeiten. Das fängt mit der Rückgabe von kolonialer Raubkunst an und muss bis in die Klassenzimmer und offiziellen Gedenktage der Bundesrepublik gehen. Und ja, viellicht fangen wir auch an zu hinterfragen, ob es sinnvoll ist, Straßennamen von Kolonisatoren beizubehalten. Denn auch wenn wir heute keine direkte Schuld an diesen Verbrechen haben, so haben wir hier Privilegien geerbt, die auf Ausbeutung und Gewalt fußen. Daraus ergibt sich Verantwortung.
Verantwortung, die wir auch als Partei nicht vernachlässigen dürfen.
Denn Solidarität darf nicht bei Worten bleiben. Solidarität muss greifbar sein.
Und nie war diese Solidarität mit BPoCs (Black & People of Colour) so wichtig wie heute. Die Sonntagsumfragen lassen schlechtes für den Zusammenhalt und die Vielfalt der Gesellschaft erahnen. Die Sicherheit von BPoCs und queeren Menschen ist durch das Erstarken von rechten und rechtsextremen Strukturen und Parteien gefährdet.
Es ist an uns informierte und gemeinschaftliche Lösungen vorzulegen, damit die Errungenschaften der Paulskirche 175 Jahre später ihr Potential für alle Menschen in Deutschland ausfalten können.
Antirassismus ist heute eine historische Notwendigkeit.
Eure Tara