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Freitag, 16.6.2023

Liebe Freund*innen,
  
vor einer Woche hat Innenministerin Faeser (SPD) im Europäischen Rat dem Reformvorschlag des Gemeinsamen Europäischen Asylsystem (GEAS) zugestimmt. Die Reform beinhaltet ein Abschiebeverfahren, dass die Einzelfallprüfung bei Asylanträgen erschwert. Es beinhaltet „Flüchtlingslager“, die Menschen in haftähnlichen Bedingungen festhalten. Aus diesen Regelungen sind Familien mit Kindern nicht herausgenommen. Im Gegenzug dazu soll es einen solidarischen Verteilmechanismus geben. Doch schon jetzt weigert Polen sich „Migrationsquoten, Quoten für Flüchtlinge aus Afrika, aus dem Nahen Osten, für Araber, Muslime oder wen auch immer“ (ZDF) zu akzeptieren. Ungarn schließt sich an. Der Aufschrei in der Zivilgesellschaft und in unserer Partei zu dem Asylkompromiss war groß. Aber wieso sollte uns diese Verschärfung in Europa alarmieren und wachrütteln?

Die Flucht ist für viele Menschen das letzte Mittel, um sich und ihre Angehörigen vor Krieg, Verfolgung und humanitärer Krisen zu retten. Das Dublin-Verfahren II begünstigte Staaten wie Deutschland, indem es Asylanträge an die EU-Außengrenzen verschob. Die Überlastung von Staaten wie Italien, Griechenland oder Spanien und die steigenden Zahlen an ertrunkenen Flüchtlingen war lange eine politisch Randnotiz.
  
Doch seit 2015 steht das Thema Flucht, Migration und Asyl in Europa aufgrund steigender Zahlen an Schutzsuchenden dauerhaft auf der Tagesordnung. Als Reaktion rückte Europa politisch kollektiv nach rechts. Rechte, rechtsextreme und faschistoide Parteien gewannen zunehmend an Zuspruch und kamen in Regierungsverantwortung. Der Rechtsruck lässt sich in Polen beobachten. Er hat dafür gesorgt, dass Ungarn kaum eine Demokratie ist und Italien von postfaschistischen Parteien regiert wird. Um keine weiteren Flüchtenden aufnehmen zu müssen, trat Großbritannien aus der EU aus. Rechte und rassistische Rhetorik Flüchtenden gegenüber sind regelmäßig in Deutschland, Österreich und Frankreich in der Politik vertreten. Jede Wahl ist eine Zitterpartie für die Demokratie.

Die Debatte um die „Flüchtlingswelle“ war eine zutiefst rassistische, in der sich Parteien der vermeintlichen Mitte rechter Rhetorik und Politik bedienten. Doch die Menschen wählen keine Kopien. Sie wählen das Original. Dieser Rechtsruck führt dazu, dass Demokrat*innen und Advokat*innen für das Recht auf Asyl nun im Europäischen Rat in der Minderheit sind.
  
Die Reform bzw die Verschärfung des Asylrechtsverfahrens in der EU kann nicht ohne diesen Kontext betrachtet werden. Wir haben ein altes aber humanitär drängendes Thema als Aufgabe. Heute sind die Rechten in Europa in einer komfortablen Mehrheit gegen die Rechte von Flüchtenden. Deutschlands Stimmanteil und der seiner Verbündeten ist nicht mal stark genug, um unsere Minimalforderung für die Ausnahme von Familien mit Kindern einzuhalten. Was es bedeutet die Mauern der europäischen Festung hochzuziehen, erklärt Aladin El-Mafaalani am besten. Wenn wir die Grenzen öffnen, sind wir nicht mit „Flüchtlingswellen“ erpressbar. Wir ermöglichen Familien, Frauen, und Kindern eine sichere Flucht, wie im Falle der ukrainischen Geflüchteten. Wenn wir aber die Grenzen schließen, setzen wir Frauen, Kinder und älterer Menschen auf der Flucht vermehrt Misshandlungen und Ausbeutung aus. Die Überlebenden dieser Strapazen sind meist nur junge körperlich unbeeinträchtigte Männer. Genau diese Menschen werden im Anschluss von Rechten für ihre Narrative der gehaltvollenAbschottungspolitik verwendet. Ein tödlicher Teufelskreis.
  
Keinem GRÜNEN Mitglied kann diese GEAS-Reform gefallen. Die Verschlechterung des Rechts auf Asyl ist für uns ein politisches Streitthema. Aber für das rechte und rechtsextreme Lager ist es ein Sieg. Sie haben 10 Jahre hierfür gearbeitet und sind ihren Zielen so nah wie nie. Daher ist dieser von Nancy Faeser ausgehandelte Kompromiss ein Fehler. Der Kontext der letzten 10 Jahre lässt auch keine Hoffnung, dass in den nächsten Instanzen der Gesetzesvorschlag liberalisiert und menschenrechtskonformer wird. Doch das darf nicht
das Ende der europäischen Humanität werden. In diesem Streit ist auf die anderen Parteien kaum Verlass.

WIR müssen uns dafür einsetzen, dass die Zukunft Europas nicht ihrer Vergangenheit gleicht.
WIR müssen dafür arbeiten, dass Europa keine Festung, sondern ein sicherer Hafen wird.
  
WIR müssen dafür kämpfen, dass Schutzsuchende nicht die ersten sind, die ihrer Rechte beraubt werden.

Denn wenn dieser kollektive Rechtsruck weiter geht, sind WIR die nächsten, die ihre Rechte verlieren.
  
No pasarán!
  
Eure Tara